Kulturelle Kulturflucht


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Lesung auf der Schafalm

Lesung auf der Schafalm

Von Anna Lena Zippl

Der Weg zur Schafalm gestaltet sich nicht ganz einfach. Karin, die Altwirtin vom Böglerhof, fährt uns in ihrem alten Volvo über die steile Schotterstraße hin, mehrmals muss sie den Wagen zurückrollen lassen und Anlauf nehmen, immer wieder geraten die Reifen auf den losen Steinen ins Schleifen, und jedes Mal sterbe ich innerlich einen kleinen Angsttod und kralle mich heimlich am Sitz fest. Ich verfluche schon innerlich die Wahl des Veranstaltungsortes, aber als wir schlussendlich doch heil ankommen, ist sofort klar, dass dies in Alpbach der einzig richtige Ort für eine Lesung ist.

Der ehemalige Schafstall, den Karin zur Denkerwerkstatt ausgebaut hat, liegt am Waldrand am Hang hinter dem Böglehof. Das Spiel aus Licht und Schatten, der Geruch von unbehandeltem Holz, die Stille nach all dem verbalen Gewölle sind wohltuend, sofort stellt sich Frieden ein, und Inspiration.

Hand in Hand geht die Arbeit voran, als Felix und ich Tische ab- und Stuhlreihen aufbauen und den omnipräsenten Südtiroler Speck anrichten. In meinem inneren Ruhen und äußeren Tun bekomme ich gar nicht mit, wie sich der Raum mit den Lesenden und den Zuhörenden füllt. Aus den Stimmen dringt plötzlich lautes Lachen durch, es kommt von einer Kunstinstallation am Fenster, „Homerisches Gelächter“, erklärt Karin. Über wen die Götter lachen, bleibt auch diesmal offen, und ein bisschen betroffen fühlen wir uns alle in unserer Alpbach-Blase.

Das Peinlich-Berührtsein schwindet, sobald Barbara Zelger zu lesen anfängt. Mit dem Sing-Sang ihrer Stimme und den Wiederholungen in ihren Sätzen zieht sie mich in ihren Bann. Sie erzählt von Situationen, in denen Unrecht geschehen ist, Unrecht gegen Einwanderer meist. Situationen, denen sie beigewohnt hat, ohne etwas zu tun gegen das Unrecht. Situationen, die ihr später auf dem Magen liegen und aufstoßen, wie manch einem Stipendiaten die deftige Tiroler Küche nach alternativenlosen Wochen in Alpbachs Gasthäusern. Die Gänsehaut, die sich bei ihrem letzten Text einstellt, macht bewusst, dass auch wir solche Situationen kennen.

Der Bruch zu Barbara Bachmanns viel glatteren, aber nicht weniger tiefen Reportagen ist groß. Sie liest von Luis Durnwalders Naturnser Domizil, in dem die Jagdtrophäen und Sammelstücke seines Lebens als Landeshauptmann ein Museum gefunden haben und das man nur über die Kompatscherstraße erreicht. Während ich noch über unseren politischen Dinosaurier nachsinne, nimmt uns Barbara mit ins Flüchtlingslager Zaatari, auf die Hochzeit eines jungen syrischen Paares, das jahrelang Briefe ausgetauscht und Hände gehalten hat, und das plötzlich selbst das nicht mehr konnte, bis es sich in Zaatari wiedergefunden hat.

Als letzte ist Maria Christina Hilber an der Reihe. Ich bin gespannt, vor einem Jahr haben wir als „Stipis“ ein Zimmer und viele intensive Gespräche geteilt, aber von ihren Texten hat sie bisher nichts preisgegeben. Der Kulturflucht in die innere Mongolei, von der ihr erster Text erzählt, habe ich während tausendundein Straßenbahnfahrten angetreten. Dann versucht Maria, sich dem Drama anzunähern, das sich vor genau einem Jahr abgespielt hat, in einem LKW, an der österreichischen Grenze. Mit Worten allein ist ihm nicht beizukommen, aber Maria experimentiert, schlüpft in Rollen, malt, entfremdet und kommt nah.

Als auch sie mit ihrem Programm am Ende ist, ist die Luft dichter als sonst. Zögerlich sind erst die Fragen, zögerlich auch die Antworten, die drei jungen Autorinnen sind etwas verlegen, spielen sich gegenseitig den Ball zu. Dann werden sie mutiger, erzählen von ihrer Arbeit, von Nähe und Distanz zu ihren Figuren, von Verantwortung. Verantwortung spüren sie alle drei, ihren Protagonisten gegenüber, und ihren Zuhörern gegenüber, bei denen sie etwas auslösen mit ihren Texten, ihrer Umwelt gegenüber, die sie gestalten mit ihrer Themenwahl. Wie sie an ihren Texten feilen, so feilen sie an den Antworten, die langsam vor unseren Augen entstehen, sich ergänzend, verwebend.

Als wir aufbrechen müssen, weil es dunkel wird, ist das Gewebe aus Fragen und Antworten noch lange nicht fertig. Und ich spinne es weiter, auf dem Weg zurück von dieser Intensität und Intimität in das jakobersche Gewusel, das ich sonst so liebe und das mir jetzt so grell scheint.