EFA_diario #1: Alpbach 2.0


Während ich eine der ersten Vorträge des digitalen Forum Alpbach streame, erreicht mich eine seltsame Nachricht über Whatsapp: “Disclaimer: slightly creepy message incoming –> hab dich gerade im Session Chat gespottet”. Die Nachricht kommt von einer alten Studienfreundin, von der ich schon längere Zeit nichts gehört habe. Wir tauschen uns am Second Screen über die Veranstaltung aus (wir finden sie beide ein bisschen cringy) und verabreden uns gleich für das nächste virtuelle Kamingespräch. Solche und ähnliche Situationen sind für die nächsten zehn Tage mein Alltag.

“In 2020, the European Forum Alpbach is wherever you are” – 2020 ist das Forum Alpbach, wo immer du bist. Mit der großen Ankündigung, das Forum im Coronajahr auf den virtuellen Raum zu verlegen, trafen die Organisierenden auf gemischte Reaktionen. Einerseits können während einer Pandemie natürlich nicht mehrere tausend Menschen aus aller Welt gemütlich in einem Bergdorf zusammensitzen; andererseits ist es schwierig den berühmten ”Alpbach Spirit” in die digitale Welt zu übertragen. Auch für mich, als Alpbach-Neuling ist spürbar, dass irgendwie etwas fehlt; und das wird mir auch von allen bestätigt, die schon einmal da waren.

Ohne Corona würde ich diesen Text wahrscheinlich im Alpbachtal schreiben. Es wäre früh am Morgen und in meinem kleinen Gästezimmer würde es nach Zirbenholz und Frühstück riechen. Und ich würde noch kurz meine Kräfte sammeln für einen Tag voller interessanter Vorträge, netter Gespräche und neuer Bekanntschaften. So stelle ich mir das zumindest vor. Stattdessen sitze ich in meiner überhitzten Dachwohnung in Wien und starre acht Stunden täglich auf einen Bildschirm. 

Aber das klingt jetzt schlimmer, als es ist. Erstens bin ich das Setup gewohnt, denn auch an meiner Uni wurde das ganze letzte Semester auf online Lehre umgestellt. Ich habe mir also schon etwas Sitzfleisch antrainiert, wenn es um digitale endlos Meetings geht. Andererseits haben die Organisierenden eine sehr übersichtliche online Plattform aus dem Boden gestampft, mit der man sich ein bisschen wie auf einen virtuellen Dorfplatz fühlt. Die Veranstaltungen werden in der Mitte des Bildschirms als Video Stream angezeigt. Rechts davon befindet sich ein Chatfenster, in dem alle Besucher*innen kommentieren und fragen stellen können. Bei interaktiven Sessions können sich Teilnehmende mit Audio und Video zuschalten und interagieren. Ein interessantes Tool ist die Networking Funktion, eine Art Blind Date, in dem man für fünf Minuten mit einem zufällig bestimmten Teilnehmenden verbunden wird. Es können auch Kontaktdetails ausgetauscht- und längere Gespräche per Videochat geführt werden.

Der eigentliche Star dieser Plattform ist für mich aber das Chatfenster. Am Beginn jedes Vortrags senden die Zuschauenden Grüße aus aller Welt: “Hi from Malaysia”, “Good morning everyone! Joining from Tbilisi, Georgia!”, “Hi from Bolivia”,”Sanibonani from Mbabane in the beautiful Kingdom of Eswatini!” ist da zu lesen und nachdem ich gegoogelt habe, wo denn das Königreich Eswatini liegt, freue ich mich über so viel internationale Präsenz und fühle mich der Welt so nahe, wie sein Beginn der Coronakrise nicht mehr. Ein anderer Vorteil der Chatfunktion ist, dass sie das Forum insgesamt demokratischer macht. Besonders schüchternen Menschen oder jenen, die nicht so gut Englisch können, fällt es leichter sich einzubringen. Die Chatfunktion führt auch zu interessanten und kuriosen Situationen, wie der kleinen Revolution, die sich während der Rede des UN Generalsekretärs Antonio Guterres abgespielt hat: Naturgemäß war diese Veranstaltung sehr gut besucht und so gingen Fragen im Chat schnell unter. Nicht jedoch die Frage einer Stipendiatin, die (richtigerweise) wissen wollte, wie denn die UN diverser werden will, wenn sie nur unbezahlte Praktika anbietet.

Credits: European Forum Alpbach

Diese Frage schien vielen Anwesenden unter den Nägeln zu brennen und so wurde der Chat solange mit Aufforderungen geflutet, dem UN Generalsekretär diese Frage zu stellen, bis sie am Ende tatsächlich gestellt wurde. In einem echten Raum mit echten Menschen wäre die Frage wahrscheinlich gekonnt ignoriert worden. Herrn Guterres’ Antwort war am Ende nicht sehr zufriedenstellend, aber vielleicht erinnert er sich an die Problematik.

Es stimmt wahrscheinlich, dass eine Online Plattform nicht der real deal ist und, dass ein virtueller Austausch keinen persönlichen ersetzen kann. Ich zumindest habe beschlossen das Beste aus dieser Situation zu machen und so viel mitzunehme wie möglich. Aber eines ist sicher, ich freue mich riesig, meinen Beitrag für nächstes Jahr in Alpbach in einem Zirbenholzzimmer zu schreiben.

 
von Kathrin Runggatscher