EFA_diario #3: Das digitale Dilemma


‘Das europäische Forum Alpbach wird dieses Jahr digital stattfinden’ – Damnit. 
Also nichts mit irgendwo in einem idyllischen Bergdorf zwei Wochen Sommer genießen, neue, interessante junge Leute aus der ganzen Welt kennenlernen, und zwischen durch der einen oder anderen Berühmtheit die Hand schütteln. Stattdessen soll ich von zuhause aus Anderen dabei zusehen, wie Politiker in Reden an einen Bildschirm versuchen, sich einer jüngeren Generation möglichst anzubiedern und stolz zu präsentieren, wie weit die Fähigkeiten zur ‘digitalen Kommunikation’ bereits gereift sind. Denn eine online-Konferenz – was soll das denn bitte groß sein?
Zwei Monate später stellt sich heraus, dass so eine Konferenz eben trotzdem was ist. 
Die Plattform, auf der der ganze Spaß stattfindet, ist dermaßen gelungen, dass tatsächlich auch auf dem eigenen Schreibtisch Konferenz-feeling aufkommt: Zwischen “Räumen”, in denen man Vorträgen der einen oder anderen Koryphäe lauschen kann, und Gruppenarbeiten, in denen man selbst mitdiskutiert, wenn man nur den Mut aufbringen den Kopf durch die digitale Tür zu stecken und sich aus der Rolle des anonymen Zuschauers herauszuwagen, erlebe ich genau das, was für einen Konferenz-Novizen eine Konferenz ausmacht – fast.

Credits: European Forum Alpbach

Dass in vielen Diskussionen tatsächlich mehr geredet als gesagt wird, und dass die Anforderung, nur an tatsächlich spannenden Events dabei zu sein eine gewisse Fähigkeit zur Selektion erfordert, war erwartet und gehört dazu. Doch auch wenn offensichtlich sehr viel Mühe, das ganzeauch zu einem Networking-event zu machen, offensichtlich hinter jeder einzelnen Schaltfläche steckt, so kommt doch im Schreibtisch-Forum nie ganz die Nähe auf, die zwei Wochen Isolation in den Tiroler Bergen entsprechen. Die Chat-rooms zu den einzelnen Events sind meistens sehr unterhaltsam, die als Chat-Roulette konzipierte Networking-Funktion macht gerade am Anfang super viel Spaß, aber auch wenn man sehr schnell viele Leute aus aller Welt kennenlernt, lässt sich eine gewisse Oberflächlichkeit oft nur schwer überwinden. Ob gemeinsame Mittagessen oder eine durchgefeierte Nacht da ausgeholfen hätten, kann man nur vermuten. Es wird sich nächstes Jahr zeigen, wenn wir Stipendiat*innen des Club Alpbach Südtirol Alto Adige eine zweite Gelegenheit haben, Alpbach so zu erleben wie es konzipiert gewesen wäre, sofern nicht eine weitere globale Krise dazwischenkommt.

von Peter Tirler