EFA_diario #3: Die Südtiroler Identität: Wer wollen wir sein? Ein Tagesbericht aus Alpbach.


„Wer bin ich?“ Fragen über Fragen in der Seminarwoche… (Foto: Andrei Pungovschki, European Forum Alpbach)

Montag, 20. August

Wenn ich am Morgen auf dem Balkon unserer Unterkunft stehe und in die Landschaft blicke, deutet kaum etwas auf die Besonderheit dieses Ortes hin. Eine Stunde später aber sitze ich in einem Seminar über künstliche Intelligenz und Ethik. Ich diskutiere mit jungen Menschen aus Äthiopien, Ägypten, Deutschland, Frankreich… In der Pause dichte ich mit LiteraturstudentInnen aus London, und am Abend: Techno-Party. Wie ich diesen Beitrag schreibe, sitze ich zwar auf einer Terrasse, die sich auch in meinem Garten befinden könnte. Neben mir aber unterhalten sich gerade zwei junge Frauen aus Schweden und Brasilien über das Konzept der Ehe und dessen Zukunft.

Und ich beginne zu erahnen, was diesen Ort so besonders macht.

Eigentlich wollte ich aber über etwas anderes berichten: Am Nachmittag besuche ich ein Linguistik-Seminar. Unter anderem berichtet ein Experte aus Australien über Konfliktbewältigung zwischen Sprachgruppen, über Bürgerkrieg und über die gezielte Ermordung von Lehrkräften. Nicht zum ersten Mal bewundere ich die Errungenschaften in Südtirol. Gleichzeitig erhoffe ich mir hier aber auch eine Antwort auf die Frage zu finden, die mir bereits öfters und auch in Alpbach gestellt worden ist: Fühlst du dich als Südtiroler eher als Österreicher oder als Italiener?

Am Vortag noch sprach sich der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher in einer Fragerunde im kleinen Rahmen mit den StipendiatInnen gegen einen „melting pot“ und gleichzeitig für das Bewahren unserer kulturellen Wurzeln in Südtirol aus. Schon im Gespräch fragte ich mich, ob das wirklich ein Widerspruch sein muss.

Im Seminar nun diskutieren wir die Fähigkeit der Sprache, Grenzen zu schaffen, aber auch zu überwinden. Wir diskutieren das Verständnis von Identität und Kultur. Außerdem besprechen wir, wie ein zwei- bis dreisprachiges Bildungsprogramm in einer Region mit verschiedenen Sprachgruppen idealerweise aussehen könnte und was die Ursache für viele Konflikte zwischen Sprachgruppen ist: Fehlender Kontakt und Austausch.

Freundlicherweise hat sich der Professor nach dem Seminar spontan dazu bereiterklärt, mit einer kleinen Gruppe aus SüdtirolerInnen und TrentinerInnen weiter zu diskutieren. Im Gespräch entwickelt sich eine starke Idee: Die einer flexiblen und vielseitigen Identität. Zum einen sind Sprache und Kultur nicht fix, sondern verändern sich pausenlos und unaufhaltsam. Zum anderen sind wir gar nicht gezwungen, unsere alte Identität und Kultur aufzugeben, wenn wir eine neue erwerben. Unsere Persönlichkeit wird lediglich vielseitiger, um eine Facette bereichert.

Um dies zu ermöglichen, braucht es Kontakt und Austausch. Was das Zusammenleben der Sprachgruppen in Südtirol betrifft, glaube ich, dass wir diesbezüglich noch vieles verbessern können. Konkret bin ich davon überzeugt, dass es deutlich mehr Durchmischung, und deutlich weniger Unterschiede oder Staatsangehörigkeiten braucht.

Nach mehr als eineinhalb Stunden Diskussion verabschieden wir uns schließlich. Wenn ich nach einer Woche im Europäischen Forum Alpbach nun etwas gelernt habe, dann, dass ich mich als Südtiroler nun nicht mehr entscheiden will, ob ich mich eher als Italiener oder als Österreicher fühle. Sondern dass ich vieles bin: Durch die deutsche Kultur geprägt, durch die italienische bereichert, und vor allem neugierig.

Maximilian Gasser