CASA_chat _2: Stichwahlen in Frankreich | Endspiel für Europa?


Prof. Roland Benedikter im Gespräch mit CASA-Vize Felix Obermair [Foto: Fabian Vassanelli]

 

Kurz vor den Stichwahlen um die französische Präsidentschaft lud der Club Alpbach Südtirol Alto Adige am vergangenen Samstag in Bozen zum zweiten CASA_chat, einer Gesprächsreihe zu aktuellen europäischen Entwicklungen. Im Salon des Palais Toggenburg befragte CASA-Vizepräsident Felix Obermair den international renommierten Politikwissenschaftler Prof. Roland Benedikter (Universität Wroclaw/Breslau, Stanford University, EURAC resarch) zum Thema ‚Stichwahlen in Frankreich: Endspiel für Europa?‘.

Die Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron (En Marche!) und Marine Le Pen (Front National) sind Politiker, deren Ansichten über die Zukunft ihres Landes und der Europäischen Union nicht stärker auseinanderklaffen könnten. Zudem gehören sie nicht den klassischen französischen Parteien der Republikaner/Gaullisten oder Sozialisten an – vor allem den Zerfall letzterer nach der Amtsperiode Hollandes sah Benedikter als alarmierendes Zeichen für die Krise der klassischen Parteien in Europa an. Falls der favorisierte [letztlich siegreiche], reformfreudige Macron die Stichwahl für sich entscheiden würde, sei dies noch lange kein sicherer Sieg für Europa, lediglich der erste Schritt eines langen, unumgänglichen Erneuerungsprozesses für Frankreich und die EU, meinte Benedikter. Notwendige strukturelle Reformen wie die Agenda 2010, wie sie etwa EU-Vorzeigestaat Deutschland schon vor Jahren durchgesetzt hat, steckten in Frankreich noch in den Kinderschuhen. Selbst wenn ein französischer Aufschwung gelingen würde, wären die reformbedingten Kürzungen im Wohlfahrtsstaat ein weiterer Nährboden für Populisten und EU-Skeptiker wie Le Pen und Linksaußen Mélenchon. Bei einer Misswirtschaft Macrons habe Le Pen in fünf Jahren zudem erst recht freie Bahn, ins Präsidentenamt aufzusteigen. Ein Präsident Macron müsse seinen Reformwillen trotzdem konsequent auch in die EU weitertragen. All diese erhofften Schritte sind laut Benedikter nämlich letzte Chancen für den Fortbestand der Europäischen Union in seiner bisherigen Form.

Benedikter sprach sich außerdem, auch im Falle Frankreichs, gegen eine ‚typisch europäische‘ Art der Politikanalyse aus, die sich hauptsächlich aus Meinungsumfragen und Wahlergebnissen speise und so oft selbst als Trendverstärker diene, anstatt Dynamiken zu hinterfragen. Ein Politikwissenschaftler habe die Verantwortung, auch in einer komplexen Realität wie der heutigen einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz in seiner Forschung zu verfolgen. Nicht zuletzt sei abschließend jedoch ein optimistischer Blick in die Zukunft Europas legitim, denn: ‚Trotz aller widerstrebender Dynamiken werden wir in den nächsten Jahren ein sich entwickelndes und gedeihendes Europa miterleben.‘[1] Motivierende Worte aus dem Munde eines profilierten Experten des globalen Wandels und der politischen Antizipation.

[1] Wieso wir auch weiterhin positiv in Europas Zukunft sehen können, erklärt Benedikter zusammen mit Ireneusz Pawel Karolewski (Universität Wroclaw, Universität Potsdam) in diesem Blogeintrag zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge: http://blogs.lse.ac.uk/europpblog/2017/03/28/eu-60-future-brighter/

Credits Foto: Fabian Vassanelli