Djerassis Zeiten


Als er 28 ist, erfindet er die Pille. Aber das Leben ging danach weiter, erzählt uns Carl Djerassi – er ist bis zu seinem jetzigen Alter von 91 Jahren nicht untätig gewesen. Der bedeutende Chemiker, Kunstsammler und Schriftsteller mehrerer Theaterstücke und Romane gab uns Studenten am Abend des 21. August einen Einblick in sein erfülltes Leben.

Zum Essen vor der Fragestunde mit StudentInnen kommt Mr. Djerassi überpünktlich. Er trinke sein Wasser ohne CO2, wir setzen uns. Auf die Frage, wer die anderen Speaker der Abendveranstaltung seien, und ich nicht zu allen Namen einen Kurzpitch liefern kann, wirkt Mr. Djerassi ungeduldig. In den drei darauf folgenden Minuten stellt Mr. Djerassi in staccato eine Reihe präziser Fragen zu meiner Person und ich liste eilig die Eckpunkte meines vergleichsweise kurzen Lebens auf. Mr. Djerassi fixiert mich eindringlich und ich frage mich, ob ich eventuell nur in Stichworten antworten sollte.

Ich entscheide mich für eine knappe Ausführung in Sätzen. „Südtirol“ ist das Stichwort, das auch dieses Mal wieder gut ankommt. Südtirol, ja das kenne er. Mr. Djerassi stellt fest, dass wir unsere Konversation also auch auf Deutsch weiterführen können und wird erzählfreudiger. Ich fühle mich, als hätte ich eine Aufnahmeprüfung bestanden.

Mr. Djerassi ist ein Mann der mit der Zeit geht. Er erzählt von seinem eigenen verantwortungsbewussten Umgang mit E-Mails, die er nicht von mobilen Geräten abliest, während jüngere Kollegen an der Universität stets online zu leben scheinen. Wir sprechen von eifrigen jungen Forschern der Universität Stanford, die auch am Wochenende arbeiten, und von fließenden Arbeitszeiten. Ihm sei die niedrige Frauenquote in Silicon Valley aufgefallen – die Arbeitszeiten und somit berufliches Weiterkommen von Frauen seien mit Familienplanung und Mutterschaft ja auch nicht vereinbar.

Stichwort Familienplanung. Mr. Djerassi macht mich höflich darauf aufmerksam, dass eine späte Familienplanung ja auch vor allem Akademikerinnen wie ich es eine sei beträfen. Die Zeit, versichert er mir, läuft (Ticktack, ticktack!). Dann rechnet er mir vor wie viele Eizellen Frauen über 35 bleiben. Mr. Djerassi empfiehlt mir seinen Essay in der Welt mit dem Titel „Unbefleckt“. Der Artikel gibt einen Ausblick in die Zukunft, in der Koitus und Fortpflanzung voneinander gänzlich getrennt werden – durch künstliche Befruchtung von eingefrorenen und aufgetauten Eizellen. Frauen würden dann jenseits der 40 noch ohne Risiken Kinder kriegen können, und Lebens- und Karriereplanungszeit gewinnen. Das Ticken der biologischen Uhr der Frauen würde leiser, und Frauen und Männer „gleicher“. Interessant.

Mr. Djerassis eigene Lebensplanung ist bewundernswert sowie ungewöhnlich, und höchst effizient. Nachdem er im Schnelldurchlauf einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Chemieprofessoren wurde, begann er in seinen späten 50ern mit dem Schreiben von Romanen (wovon der erste entstand um einer Literaturprofessorin und Mr. Djerassis späterer Frau zu imponieren) und von Theaterstücken, sowie mit dem Sammeln von Kunst. Mr. Djerassi empfiehlt mir, nicht so lange zu warten, um auch Sekundärinteressen abseits der eigenen Expertise nachzugehen, und einer seiner Sätze beginnt mit: „Wenn ich als Frau wiedergeboren würde…“. Ich bin beeindruckt und fühle mich beim Gespräch über Lebens-und Familienplanung trotz des großen Altersunterschieds verstanden.

Als die Fragerunde mit den StudentInnen eröffnet wird, kommen mehrere Studentinnen kichernd auf Mr. Djerassi zu und bitten ihn um Autogramme. „My life would have been so different without you“, erklärt eine der jungen Studentinnen verzückt, und meint die Pille, mehrere bestätigende „Thank you“-s folgen aus der Runde. Mr. Djerassi betont nochmals: er sei nicht nur der Erfinder der Pille. Dann ist die Fragerunde eröffnet. Mr. Djerassi sammelt immer drei Fragen der Studierenden um dann zu antworten, das sei so effizienter. Ticktack, ticktack. Den Zeitplan der Fragerunden können wir dennoch nicht einhalten. Am Ende der Veranstaltung empfiehlt Mr. Djerassi nochmals seine Autobiographie – darin seien alle Geschichten, für die die Zeit zu knapp war, aufgeschrieben. Es passt sehr viel in ein Leben, denke ich am Ende des Abends fasziniert.

von Julia Bodner