Wenn aus Alpbach Alp.bär wird…


Was bedeutet es, wenn Wald und Wanderpfade zum cineastischen Experimentierfeld werden? Wenn hinter Wegzweigungen stets neue Sinnesabenteuer warten und der Aussichtsberg zum Freilicht-Kinosaal wird? CASA-Mitglieder Maria C. Hilber und Franziska Guggenbichler haben vergangenen Freitag, 25. Mai 2018,  im Rahmen ihrer Veranstaltung „Alp.bär“ (LanaLive) mit einigen Überraschungen am Knottnkino, oberhalb von Vöran, aufgewartet – und den CASA-Stammtisch auf eine verzaubernde Reise mitgenommen… Hier ein paar Eindrücke.

Allmählich findet sich die Gruppe zusammen. Wir warten. Was uns wohl erwarten mag? „Wo geht es hier zum Knottnkino?“ Wolken und Maisonne ziehen umher. Grillen zirpen im Gras. Dann brechen wir auf. Auf, hin, zum Berg, folgen dem Weg. Unbeschwertes Wandern: ein beliebter Nachmittagstouristenpfad – noch ahnen wir nichts.

Im Schatten der Bäume halten wir einen Moment inne. Schauen uns an: Da war doch was. Weiche Klänge. Ein Waldhorn. Ein Jagdhorn? Eins, zwei, drei, vier. Von hinter dem Hügel tönt es zu uns. Noch ein paar Schritte durchs Unterholz und wir erkennen: Sie wuchsen aus Baumstämmen empor, mit ihrem goldnen Klang. Vier Hörner auf der kleinen Anhöhe vor uns, glitzern im Scheinwerferlicht der Abendsonne. Eine sanfte Weise spielen sie. Wir lauschen gebannt.

Und schon geht es weiter, der Weg steigt hinan. Die Gruppe teilt sich – wir bewegen uns in entgegengesetzte Richtungen. Durch den Wald. Äste knistern unter unseren Füßen. Die Blicke nach unten gerichtet, wir achten auf unsere Tritte. Da: Jemand – oder etwas? – hockt im Baum! Oben, im Geäst. Und spricht auf uns herab, mit weiblicher, vorwurfsvoller Stimme. „Es“ ist ein Termit. „Sagen wir es kurz: die Natur hat uns ebenso ungerecht, übelwollend, launisch und unlogisch behandelt wie euch Menschen.“ Wir fühlen uns klein unter dem hoch empor thronenden Insekt. Was es uns sagen will? „Illusion ist vielleicht alles in allem auch eine Art Wahrheit. Auf jeden Fall die einzige euch erreichbare.“ Und: „Ist der Unterschied zwischen euch und uns wirklich so groß? (…) Kann da ein bisschen mehr oder weniger Gehirntätigkeit die Gesetze des Weltalls von Grund auf ändern?“ Fragen in unseren Gesichtern… Was ist der Mensch, frage ich, was hebt ihn tatsächlich von anderen Wesen ab, wenn nicht die Intelligenz – die nun doch auch Insekten beigemessen werden muss?

Was wir dann erblicken, holt uns jäh von unserem Grübeln zurück in den Wald, unseren Schauplatz. Umringt von einer Baumgruppe, nur mit einem Lendenschurz bekleidet steht er. Er nimmt uns nicht wahr. Er sieht nur das weiße Wasser. Es rinnt durch das Loch einer durchsichtigen Kunststoffplane, zwischen den Bäumen gespannt. Es rinnt und rinnt, scheint mehr zu werden, ein weißer Wasserstrom, er kniet sich darunter und fängt es auf mit seinem Mund. Doch er trinkt es nicht – ist es Milch? – es gleitet an seinem nackten Körper hinab, es plätschert und quirlt aus seinem Mund wieder hervor, als käme es aus seinem Inneren. Rote Farbe auf der Plane: Denken wir an Blut? Dann mischt sich blau – oder ist es grün? – in den Strom. Und versiegt im Waldboden ringsum. Er lechzt danach, mit weitaufgerissenem Mund und Augen, kauert am Waldboden, nach oben gerichtet. Bis zum letzten Tropfen. Ist es Panik? Gier? Noch einer. Und noch einer. War es der letzte? Ist es vorbei?

Wir kommen an. Betreten den roten Felsen. Hinaus aus dem dumpfigen Zwielicht des Waldes. Vor uns: ein Meer. Alles ist weit. Landschaft, Himmel, Horizont hinter den Bergen. Erleichterung. Ausatmen.

Mit Kopfhörern bestückt werden wir begrüßt, der Kinosaal auf 1465 Höhenmeter füllt sich schnell, es ist freie Platzwahl. „Schön, dass ihr auch da seid.“ Es geht los. Am Ende der Wanderung gehen wir auf eine Reise, durch all die Eindrücke, die sich dem Beobachter bieten. Großes Sprechkino in unseren Ohren: „Zahnstocher mit Borsten“ – „wie ein Pfahl der Kirchturm im Dorf“ – „Linien. Die nicht denken“ – „Pfauen“ – „Baumgräten“ – „Häuser“ –  „winkelgespickte Behausungen“ – „Apfelbaumglasflügler“ – „Apfelgraslaus“ – „Blatttaschenmotte“ – „eine Schildkröte am Wasser und wähnte sich ohne Zeit“ – „Das Kleeblatt weiß nichts vom Glück“ – „ein dröhnigliches Rauschen im Tal“ – „die gerade gerade Bahnlinie am geraden geraden Ufer“ – „ein globaler Adernschmiss entlang von Gps-Entwürfen“ –

„DIE EINEN.
KENNEN IHRE STELLUNG.
WIR ANDEREN…STROMERN, STREUNERN“

Die Abendsonne spielt mit. Berggipfel umrahmen die imaginäre Leinwand. Und wir mitten drin. Silent cinema. Geheimnisvolle Geräusche dringen durch die Hörer. Es knackst und klackert und rauscht – und verstummt schließlich.  –

Dann der Abspann. Auch wir, die Zuschauer, werden beim Namen genannt. Wundern uns. Erwachen. Wären wir im Kinosaal, würde nun das Licht angehen. Hier geht es langsam – aus. Sie geht unter. Noch ein paar verspielte Strahlen. Es dämmert. Um uns und in uns.

Ein cineastisches Abenteuer. Bald werden wir den Berg hinuntersteigen. Benommen. Bilder hinabtragen. Was wird bleiben von ihnen, in ein, zwei, drei Wochen? Der Bär – wo war er? Der Alpbär. Vielleicht in Alpbach? Wir werden sehen.

 

Danke an Franziska und Maria!

Text und Fotos: Anna Wolf