EFA_diario #11: Das zweite Mal – Alpbach hebt den Blick und weitet die Gedanken


Als ich dieses Jahr das erste Mal nach Alpbach fahre, ist alles vertraut: die steile Steigung von der Hauptschule zum Spar-Supermarkt, die vielen Leute in Anzug, die Diplomatenlimousinen. Ein Bild gerahmt von Holzbalkonen mit üppiger Geranienpracht. Hallo Alpbach. Ich biege zielsicher zum Haus Barbara ab, weiß, dass man besser rückwärts von der Straße auf den engen Parkplatz einbiegt und sitze Minuten später schon in der gemütlichen Küche ganz oben unterm Dach, mit einem Spinatknödel auf dem Teller. Irgendjemand hat gekocht, zum Glück reichlich – denn im Haus Barbara tauchen immer unverhofft Hungrige auf, sobald der Duft vom Kochen durch das Haus zieht. So wie ich heute.

Geranienblick aus dem Haus Barbara (Foto: Felix Obermair)

Das erste Mal nach Alpbach fahren ist bei mir heuer eigentlich das zweite Mal. Ich komme als Wiederkehrer-Stipendiatin, anfühlen tut es sich eher wie Heimkehren.

Im Jahr davor hatte ich das volle Spektrum von Alpbach erlebt: die Seminarwoche, in der man sich intensiv mit einer Thematik beschäftigt und erste Bekanntschaften macht. Die Tiroltage im Dirndl. Die sich überschneidenden Symposien, wo gefühlt immer mindestens drei interessante Sachen gleichzeitig stattfinden. Um vier in der Früh vom Dorfgasthaus heimkommen oder um vier in der Früh in Richtung Gratlspitze starten, um den Sonnenaufgang nicht zu verpassen. Es war eine intensive Zeit, mit vielen Eindrücken und Denkanstößen, mit langen Gesprächen auf dem Balkon vom Haus Barbara und mit neuen Freundschaften, die die Zeit in Alpbach überdauert haben. Die Erlebnisse dieser Zeit und all das, was ich aus Alpbach mitgenommen habe, ließen für mich schnell klar werden: Nach Möglichkeit möchte ich wiederkehren.

Die Erinnerungen vom letzten Jahr formen meine Erwartungen für dieses Jahr. Doch schon beim ersten Spinatknödel im Haus Barbara wird mir klar: das zweite Mal wird anders. Alpbach hat sich kaum verändert, aber ich. Im ersten Jahr war ich als Studentin hier, das Studium gerade abgeschlossen, das Forum Alpbach eine perfekte Gelegenheit, um die freie Zeit zu füllen. Im zweiten Jahr besetzt Alpbach wertvolle Urlaubstage einer Berufstätigen, am Anfang klingelt noch ständig mein Arbeitshandy. Ich richte notgedrungen mein Home Office auf dem Balkon vom Haus Barbara ein, obwohl ich mit den Gedanken schon im Kongresszentrum bin. Am zweiten Tag dann endlich Handy und Laptop aus und voll eintauchen in das Forum Alpbach.

Das Programm ist mindestens so spannend wie letztes Jahr und mindestens genau so dicht gedrängt. Im ersten Jahr knüpfte der Tenor der Veranstaltungen direkt daran an, was ich aus der Academia kannte: zukunftsgerichtete Visionen, komplexe Theorien, charismatische Redner. Heuer hält mir Alpbach vor Augen, wie sich mein Horizont nach nur einem Jahr im Berufsalltag schon verengt hat. Im alltäglichen Kanonenfeuer aus operativen Problemen, die in Echtzeit gelöst werden wollen, hat futuristische Visionsdiskussion wenig Platz. Alpbach hebt meinen Blick und weitet meine Gedanken.

Wie wohl in jedem Alpbach-Stipendiat wallt auch in mir immer wieder der Drang hoch, möglichst alles sehen und mitmachen zu wollen, aber dann gehe ich die Sache dieses Jahr doch anders an: Ich wähle Veranstaltungen gezielter aus, höre mir nur das an, was wirklich vielversprechend klingt. Und manchmal sind auch andere Bedürfnisse wichtiger, wie einfach unter einem Baum in der Wiese zu liegen und den Vögeln zuzuhören. Alpbach beansprucht Urlaubstage, also ist auch ein gewisser Urlaubsanspruch da. Ich nehme mir einen halben Tag Zeit zum Wandern, mache eine Mountainbike-Tour. Aber auch das ist Alpbach. Alpbach bietet nicht nur die Möglichkeit, sich in Nischenthemen zu vertiefen, es gibt auch Raum für Themen, Diskussionen und Aktivitäten, die sonst im Alltag zu wenig Platz finden.

Alpbach-Wiederkehrerin Anna Pohl als Moderatorin der diesjährigen Alpbacher Career Lounge (Foto: Anna von Hepperger)

Das zweite Mal Alpbach ist anders als das erste Mal, aber das Fazit ist das gleiche: Alpbach ist nicht nur das Dorf mit den schönsten Geranien, sondern auch das Dorf der unbegrenzten Möglichkeiten. Nach wie vor kann ich jedem, der die Chance hat, dort hinzukommen, nur raten: Nutze sie!

 

Anna Pohl